25 Jahre ionesco.de – Gedanken an Søren Olsen
In den kommenden Wochen wird meine Hommage an Eugène Ionesco 25 Jahre alt sein. Am 9. Juli 1999 habe ich den unterschriebenen Vertrag über die Registrierung der Domain ionesco.de an die 1&1 PureTec GmbH gefaxt. Die Website muss irgendwann zwischen diesem 9. Juli 1999 und dem 1. August 1999 online gegangen sein. Das erste, sehr ausführliche Feedback, das mir noch als ausgedruckte E-Mail vorliegt, kam an jenem 1. August 1999 von einem ebenso freundlichen wie gebildeten Dänen namens Søren Olsen, der schon rund zwei Jahre zuvor eine Website über Eugène Ionesco veröffentlichte und mir u.a. berichtete, dass er seine Abschlussarbeit an der Universität („thesis“) über die einzige Novelle des Dramatikers schrieb und ihm später auch persönlich begegnete. Diese erste Website war in verschiedenen Sprachen verfügbar, allerdings nicht auf Deutsch. Die Website ionesco.de füllte diese sprachliche Lücke und ist bis heute zumindest in zwei Sprachen unterwegs. Leider verlor sich der Kontakt zu Søren Olsen, und heute kann ich online nur noch einen Nachruf von Freunden finden, anlässlich seines Todes im Jahre 2015, im Alter von 62 Jahren. Es zählt für mich zu den erstaunlichen und faszinierenden Facetten des Daseins, dass es Menschen gibt, die einem nur kurz begegnen und dennoch in Erinnerung bleiben. Ich möchte das 25-jährige Jubiläum der Website diesem Pionier der Online-Erinnerung an Eugène Ionesco widmen. Ruhe in Frieden, Søren Olsen.
Über die Website ionesco.de kann in älteren Beiträgen der Rubrik „à propos“ noch etwas nachgelesen werden. Ich möchte das Jubiläum zum Anlass nehmen, ein paar grundsätzliche Gedanken zur Zukunft der Website zu äußern.
Die Erinnerung an das, was Eugène Ionesco mittels seiner Werke und darüber hinaus kommunizierte, erscheint mir heute wichtiger und auch sinnloser denn je. Wichtig deshalb, weil er uns an einem schonungslosen Blick auf den Menschen hat teilhaben lassen. Wichtig deshalb, weil er zu den Menschen gehörte, die das Monster in sich selbst suchen und nicht nur bei anderen. Wichtig deshalb, weil er uns vor Augen führt, dass Konformismus im Kleinen anfängt und in große Ideologien und Utopien mündet. Wichtig deshalb, weil er uns zum Zweifel ermutigte, aber zugleich davor warnte, über das Ziel hinauszuschießen, in Extremismus zu verfallen. Wichtig deshalb, weil er Wege aus dem menschlichen Dilemma suchte und die Hoffnung bis zu seinem Tode nie verlor.
Nun, warum sollte diese Erinnerung sinnlos sein? Wir erleben gerade wieder verstärkt das, wovon Eugène Ionesco schrieb, dass es leider regelmäßig wiederkomme: Ideologien, Utopien, Raserei, Wut, Hass, Entfremdung, Massaker, Krieg, Entmenschlichung. Hinzu kommt eine Art Sympathie oder gar Sponsoring für diese Abgründe unseres Daseins, selektiver und somit gar nicht existenter Humanismus, eine fast unerträgliche Maschinerie der Heuchelei, der Stupidität. Alles, was Eugène Ionesco über Geschehnisse seiner Zeit, die ihn aufgerüttelt und deprimiert haben, schrieb, kommt dieser Tage wieder. Was können Worte, was können Theaterstücke, Bücher oder Websites daran ändern? Wie lange ist es her, dass uns Goethe auf künstlerische Weise vor dem Pakt mit dem Teufel warnte und wie oft ist er dennoch von Menschen eingegangen worden? Ich stand schon einige Male kurz davor, die Website aufzugeben – nicht, weil Eugène Ionesco im Unrecht war, sondern leider genau im Gegenteil. Es ist geradezu erschreckend, wie aktuell auch seine Essays über Mensch und Gesellschaft noch heute sind. Und dennoch – oder gerade deshalb – hört kaum noch jemand zu.
Mein aktuelles Fazit möchte ich an Worte anlehnen, die Eugène Ionesco in seinem Stück „La Vase“ seinen Charakter über das Leben äußern lässt: Es ist weder sinnvoll, die Website zu machen noch sie nicht zu machen.
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Nachruf Søren Olsen (in dänischer Sprache)
Website von 1997 über Eugène Ionesco (Søren Olsen)