Ionesco über die Gefahr eines globalen Kontrollverlustes
In der Sammlung von Zitaten auf dieser Website findet sich auch dieser eine Satz von Eugène Ionesco über seinen Eindruck, dass die ganze Welt wie eine Maschine in Unordnung geraten könne. Und leider ist mein persönlicher Eindruck, dass diese Befürchtung heute aktueller ist als im Jahre 1966, dem Jahr der Veröffentlichung des Gesprächs zwischen Eugène Ionesco und Claude Bonnefoy. Werfen wir einen genaueren Blick auf den Kontext, in dem Eugène Ionesco seine Befürchtungen äußerte.
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Claude Bonnefoy: Bei den meisten Ihrer Stücke, Eugène Ionesco, ist der Bau sehr wichtig. Darüber hinaus nimmt er von Stück zu Stück die verschiedenartigsten Formen an, die sich manchmal innerhalb desselben Stücks miteinander verbinden: Dialogtechnik, Verhaltensautomatik, Überwuchern der Dinge, Beschleunigung oder Auseinanderbrechen der Handlung. Aber das ist nicht alles. Die Art, wie Sie diese dramaturgische Technik einsetzen, stellt einen Bruch mit der überlieferten Form des Dramas dar. Im klassischen Drama gibt es zwei Formen: den tragischen Aufbau, er entspricht der Schicksalsfügung, die den Helden zum Tod führt; den komischen Aufbau, der in der Wiederholung von Sätzen oder Situationen besteht, in der schlagartig zu entwirrenden Verwicklung der Intrige – eine Parallele zur dramatischen Spannung – und in der Beschleunigung der Aktion. Im allgemeinen steht aber diese Technik außerhalb der Personen, sie ist ein Räderwerk, dem die Personen nicht entrinnen können. Auf der einen Seite haben wir das Schicksal, auf der andern das Beinstellen, das den Komiker hinfallen lässt. Im Gegensatz dazu geht bei Ihnen der Bau vom Komischen, vom Burlesken aus, er entsteht scheinbar aus dem Verhalten der Personen selbst, wird größer und größer, und plötzlich, durch seine Überspanntheit oder sein Auseinanderbrechen, wird er tragisch. Das schönste Beispiel für den Umschlag vom Komischen zum Tragischen finden wir im Drehbuch „Der Zorn“, das Sie für Sylvain Dhomme geschrieben haben. Welche Bedeutung messen Sie diesem Bau und dem Umschlag vom Komischen ins Tragische zu?
Eugène Ionesco: Sie machen mir verschiedene Dinge klar. Ich stelle fest, dass es sich dabei nicht um ein Rezept oder eine Methode handelt. Es ist eine Lebensweise. Am Anfang steht das „dem Lebendigen aufgepflanzte Mechanische“. Das ist komisch. Aber wenn es immer mechanischer und immer weniger lebendig ist, wird es erstickend, tragisch; denn wir haben den Eindruck, dass die Welt unserem Geist davonläuft.
Ich hatte dieses beängstigende Gefühl – wie ich Ihnen schon sagte – bei der Lektüre von Feydeaus Stücken. Diesen beängstigenden Eindruck, dass die Welt uns davonläuft, muss auch der Zauberlehrling haben. Vielleicht ist es auch ein Bild für das, was uns die nächste Zukunft bringen wird. Heute sind wir nicht mehr Herr über die außerordentlichen technischen Mittel, die wir losgelassen haben. Unser Planet kann in die Luft gehen … scheint es.
Claude Bonnefoy: Liegt die Tragik nicht gerade in der Logik dieses Auseinanderbrechens, ähnlich wie die Überlegungen von Geisteskranken, die zwar streng logisch sind, aber von einer falschen Grundlage ausgehen, was den Bruch mit der Wirklichkeit zeigt?
Eugène Ionesco: Ich habe den Eindruck, dass die Welt selbst wie eine Maschine in Unordnung geraten kann. Im „Zorn“ wird die Welt verrückt, wird von unseren Leidenschaften fortgerissen und explodiert. Es ist ein Mechanismus der Leidenschaften, der über das Ziel hinausgeht. Zum Beispiel, die Leute streiken, revoltieren, machen Revolutionen, um ganz bestimmte Ergebnisse zu erreichen. In ihrer Begeisterung gehen sie über das Ziel hinaus und errichten schließlich die Tyrannei, führen die dogmatische Stupidität, den organisierten Massenmord ein. Man hat den Eindruck, in einem bestimmten Augenblick verlieren sie die Kontrolle über sich selbst, sie werden "ver-rückt". Und was gut werden sollte, wird schlecht. Die Revolution wird Rückschritt; die Befreiung Entmenschlichung; die Regierung verhasster Machtmissbrauch; die Gerechtigkeit wilder Sadismus und so weiter.
Claude Bonnefoy: Im „Zorn“ beginnt das Auseinanderbrechen ganz banal mit verschiedenen Vorkommnissen des Alltagslebens, die das gute Verhältnis zwischen den Ehegatten, den Freunden stören…
Eugène Ionesco: Ja, und um ein kleines Missverständnis wegen einer Nichtigkeit kristallisieren sich alle möglichen schrecklichen Dinge ohne Sinn und Verstand, der ganze Mechanismus des Hasses.
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Aus „Bekenntnisse – Nach Gesprächen aufgezeichnet von Claude Bonnefoy“, Seite 97-99