„Wenn ich jemals feindselig war, dann gegenüber der Dummheit und gegenüber der Verletzung von Menschenrechten.”

Quelle und weitere Zitate

Gedanken zu Ionescos Brief an den Papst

Im Dezember 1993 war sich Eugène Ionesco seines baldigen Todes gewiss. Aber er hatte noch immer niemanden getroffen, der ihm die Welt erklären konnte. Noch immer plagten ihn Fragen und Ängste. Er gab deshalb auch die Suche nach Gott nicht auf und entschied sich zu später Stunde seines Lebens, Papst Johannes Paul II. um Antworten zu bitten. Zu den Fragen, die er „Votre Sainteté“ stellte, gehörte, ob das Altern der Wille Gottes sei, warum es immer wieder blutige Kriege gebe und warum Naturkatastrophen.

Die Antwort des Vatikan kam am 13. Januar 1994 von einem Sekretär des Vatikan und war an Nüchternheit und Kälte schwer zu überbieten. Kurz zusammengefasst teilte man Eugène Ionesco mit, er möge die Bibel lesen und gelassen sterben. Möglicherweise hat man etwas später festgestellt, dass diese menschliche Kälte keine allzu gute Publicity für die katholische Kirche bedeutete. 25 Tage vor seinem Tod hat man den Dramatiker noch einmal angeschrieben und gebeten, sich für die gewünschte Antwort an das Sekretariat eines Kardinals zu wenden. Eugène Ionesco war aber inzwischen zu krank, um auf dieses Angebot noch eingehen zu können. Er verstarb schließlich am 28. März 1994. In einem Artikel anlässlich des 100. Geburtstags Eugène Ionescos im Jahre 2009 zieht „Le Figaro“ das Fazit, dass es letztendlich der Tod war - und nur dieser allein - , der Eugène Ionesco von seinen Ängsten befreite.

Aus heutiger Sicht verwundert es etwas, dass Eugène Ionesco überhaupt Hoffnung darauf setzte, von der katholischen Kirche hilfreiche Antworten zu erhalten. Die Kirche war in ihrer langen Historie weder das Zentrum des Wissens noch die hohe ethisch-moralische Instanz, die Menschen gerne in ihr sehen möchten. Für diese Erkenntnis muss man nicht einmal bis in die Zeit der Kreuzzüge zurückgehen. Zu Ionescos Lebzeiten war der Vatikan der erste Staat, der mit Nazi-Deutschland ein Auslandsabkommen schloss und für eigene Privilegien über den schon sichtbaren menschenverachtenden Charakter des Regimes hinwegsah. Danach haben wir von zahlreichen Missbrauchsskandalen innerhalb der Kirche erfahren und eine Informationspolitik der Organisation erlebt, die fragen lässt, was noch ans Tageslicht kommen wird. Und dieser Tage verbreitet der Papst zwar anlässlich eines Angriffskriegs auf arglose Menschen Friedensbotschaften, aber leider, ohne das Böse bzw. den Täter beim Namen zu nennen. Statt dessen lesen wir nebulöse Worte über Imperialismus auf allen Seiten. Unser Planet ist tatsächlich nicht von Heiligen bevölkert, aber wenn der Kirche noch etwas am fünften Gebot liegt, sollte sie sich nicht besser an den Auslöser des Tötens wenden, ihn zur Rückkehr zum Menschsein aufrufen, ihm dann auch Beichte und Vergebung anbieten?

Möglicherweise können wir vor diesem Hintergrund, dem Zustand der Kirche seit vielen Jahrzehnten bzw. Jahrhunderten, ablesen, wie verzweifelt Eugène Ionesco angesichts der fundamentalen Fragen unseres Daseins kurz vor seinem Tod war. Manche der von ihm gestellten Fragen könnte man heute aus weltlicher Sicht vielleicht beantworten. Beispielsweise ohne unseren Prozess des Alterns wäre der Planet schon bald hoffnungslos übervölkert. Nach einer Schätzung sollen bis heute rund 100 Milliarden Menschen auf dem Planeten geboren worden sein. Wenn wir betrachten, was acht Milliarden Menschen anrichten, möchten wir uns ein Dasein ohne Altern und Sterben bestimmt nicht vorstellen. Was uns zum Punkt Naturkatastrophen bringt. Heute stellen sich immer mehr Menschen die Frage, was man noch als Naturkatastrophe bezeichnen kann und was vom Menschen zumindest mitverschuldet ist.

Bis heute und vermutlich auf Ewigkeit interessant bleibt jedoch die Frage des Bösen. Wo kommt es her? Wie viel davon steckt in uns? Wie gehen wir mit ihm um? Wie böse dürfen wir im Kampf für das Gute werden? Was ist das Gute? Unsere abendländische Religion hat uns als guten Ausgangspunkt die zehn Gebote hinterlassen. Zwar mögen einige der Gebote heute fast aus der Zeit gefallen sein, die Beziehungen zwischen den Geboten werfen schwierige Fragen auf und die Konsequenzen von Verstößen bleiben unklar, aber wenn man sich weltweit einfach mal an das erstaunlicherweise erst an Position fünf auftauchende Tötungsverbot hielte, wäre der Planet schon ein sehr viel angenehmerer Ort. Umso trauriger ist es, wenn ausgerechnet die Kirche zu diesem wohl wichtigsten Aspekt unseres Zusammenlebens nicht wirklich Klartext spricht. Stattdessen gibt es sogar Kirchen, die einem Mörder noch die Absolution erteilen. Man hat den Eindruck, dass sich alle oder zumindest viele Religionsgemeinschaften vor dem Hintergrund der Herausforderungen unserer Zeit neu erfinden müssten. Oder ist es nicht eher der Mensch, der sich neu erfinden, sich seiner Natur bewusster werden muss? Es wird enger auf dem Planeten. Der Platz, den man Pflanzen und Tieren bereits genommen hat, scheint nicht lange zu reichen. Kriege, Vernichtung unserer Lebensgrundlagen und Migrationsströme sind nur drei Ausprägungen dieser Entwicklung. Es ist schwer vorstellbar, dass der Mensch aus dieser Entwicklung einen Ausweg findet, wenn er nicht sehr grundsätzliche Fragen an sich selbst stellt – bevor es zu spät ist. Um abschließend auf Eugène Ionesco zurück zu kommen: Vielleicht hätte die Kirche in einem Dialog mehr vom Dramatiker lernen können als umgekehrt. Den Mut und die Fähigkeit zum Zweifel ganz zuvorderst. Auch, wenn sich die Zweifel auf die Schöpfung beziehen.

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