Griechenland: Fragwürdiges Verständnis von Konformismus
Die Website eurotopics.net informiert dieser Tage über einen Streit in der Theater-Landschaft Griechenlands. Dort lehnt sich ein Schauspieler gegen die Anwendung der 2G-Regel für eine Aufführung von "Die Nashörner" auf. Er sieht darin einen Akt der Unterdrückung, des Konformismus. Und das ausgerechnet in diesem Stück Ionescos. Wir können den Dramatiker nicht mehr persönlich fragen, aber es steht zu vermuten, dass hier - nicht zum ersten Mal - eines seiner Stücke gehörig fehlinterpretiert wird.
Die Website, die sich den täglichen Blick in Europas Presse auf die Fahnen schreibt, führt dazu unter der Überschrift "Eine neue systemkritische Bewegung" aus:
"Die Bewegung der Impfgegner ist zu einer neuen Form der Anti-System-Bewegung geworden. Selbst für viele Geimpfte sind Impfgegner Menschen, die sich gegen das System stellen, und die Ungeimpften sind Opfer der Unterdrückung durch ein Establishment mit totalitären Zügen. Und anstatt in der Impfung einen Akt des Wehrens gegen die durch die Pandemie auferlegten Beschränkungen zu sehen, wird sie als repressives Instrument des Systems bewertet. ... Für diesen Teil der Gesellschaft ist Servetalis ein Mann, der darum kämpft, das Joch des Systems abzuschütteln." In einer Kolumne der Website wird der Ausschluss Ungeimpfter als 'strafend' und 'willkürlich' gebrandmarkt.
Nun, zunächst muss man sehen, dass die ganze Welt seit dem Ausbruch der Pandemie nervlich angeschlagen ist. In diesem Klima ist genügend Nährstoff für eine Eskalation der Emotionen. Aber am Ende des Tages sollte auch der Verstand wieder zu Wort kommen, die Vernunft wieder zum Vorschein kommen. Ionesco hat zu "Die Nashörner" und "Der Einzelgänger" geschrieben, wie schwer es ist, sich seiner Situation noch bewusst zu sein. Wird eine im Kern wahre Idee maßlos, wird sie verfälscht. Wer ist dann noch Behringer und wer ist das Nashorn? Und wie steht die Ablehnung des Konformismus zu Ionescos zentralem Thema, der Menschlichkeit? Ist Anti-Konformismus ohne Humanismus überhaupt denkbar? Aus der Ferne möchte man in den Streit, der in Griechenland entbrandt ist, folgendes hineinfragen:
Was ist das "System", das in Griechenland offenbar in heldenhafter Weise bekämpft werden soll? Sind Negativzinsen in unserem kranken Geldsystem auch ein "System" oder geht es nur darum, ob man von etwas persönlich betroffen ist oder davon profitiert? Ist es angemessen, jedes Politikfeld zu einem "System" zu erklären - zumal in einer Demokratie, in der man Möglichkeiten hat, das "System" selbst zu beeinflussen.
Wenn man davon ausgeht, was Virologen weltweit bestätigen, dass nämlich die Impfung zwar nicht die Ansteckung zufriedenstellend verhindert, aber einen wertvollen und dringend benötigten Beitrag für die Entlastung des in den meisten Ländern am Limit arbeitenden Gesundheitssystems leistet, und Tests leider nicht hinreichend valide sind: Was ist an einer 2G-Maßnahme "willkürlich"?
Wenn man diesen Gedanken weiterspinnt, wie sollen aus Sicht der "System"-Kritiker in den Krankenhäusern faire und menschliche Verhältnisse aufrecht erhalten werden? Ist es ihnen egal, wenn Menschen im Rahmen einer "Triage" zum Sterben verdammt sind? Ist es für sie gerecht, dass Menschen mit Leiden, vor denen man sich nicht mit Regeln und Maßnahmen schützen kann, auf Intensivstationen keinen Platz mehr finden, weil dort die vielen "System"-Kritiker versorgt werden müssen? Ist es in den Augen dieses griechischen Schauspielers wirklich noch Behringer, der menschlich geblieben ist?
Auf einem ganz anderen Blatt steht noch die Situation der Wirtschaft. Und ja, auch diese ist für uns wichtig, um zu überleben. Aber wenn wir der Pandemie ihren Lauf zu lassen, wer wird die Rechnung dafür bezahlen können? In manchen Ländern mag man sich daran gewöhnt haben, dass Rechnungen zu höheren Instanzen weitergeschoben werden können? Aber irgend jemand muss sie bezahlen. Egal?
Diese Worte schreibt ganz sicher nicht jemand, der in den zurückliegenden zehn bis zwanzig Jahren ein glühender Anhänger unserer durchaus angeschlagenen Demokratie geworden ist. Es hat einige Aspekte gegeben, bei denen zu wünschen gewesen wäre, dass die Menschen in größerer Zahl aufgestanden wären. Sie sind es nicht. Auch nicht in Griechenland. Die Politik in Zeiten der Pandemie gibt im Detail viel Anlass zu Kritik. Aber warum sehen so viele Menschen in den Corona-Maßnahmen nicht auch ein Gebot der Menschlichkeit? Menschlichkeit gegenüber älteren Menschen, gegenüber Menschen mit Vorerkrankungen, gegenüber Menschen, die unverschuldet krank werden und in Krankenhäusern nicht nur Hilfe, sondern auch menschliche Wärme suchen, gegenüber dem Personal in unserem Gesundheitssystem, das auch nur menschlich ist und Grenzen der Belastbarkeit hat? Also noch einmal die Frage: Wer ist hier Behringer und wer das Nashorn?
Ist die Frage so leicht zu beantworten?
Quelle: eurotopics.net