La main peint / Die Hand malt
In den 80er Jahren entdeckt Eugène Ionesco verstärkt die Malerei für sich. Mehrfach im Jahr begibt er sich in die Schweiz, ins abgeschiedene St. Gallen. Er schätzt die Ruhe und Übersichtlichkeit, die ihm Paris nicht bieten kann. Dort bat ihn die Galerie Erker eines Tages, einen eigenen Text zu illustrieren. Aus der kommerziellen Idee eines Kunsthändlers entwickelte sich eine Lust, die zur Sucht wurde. Der erste Kontakt mit der Stadt St. Gallen kam schon zu Beginn der 60er Jahre zu Stande, als ein Maler ihn bat, seine Bilder anlässlich einer Vernissage vorzustellen.
Im Interview mit Ulrich Wickert gegen Ende der 80er Jahre wurde auch über die Malerei Ionescos gesprochen. In der Schule war Ionesco nach eigenen Angaben ein schlechter Zeichner. Die schlechteste Note habe er gehabt. Ein Freund habe für ihn gezeichnet. Doch als er berühmt war, begann man, in seinen Aquarellen Erklärungen für seine Stücke zu suchen. Ionesco mischte die Farben nicht, sondern zog klares Schwarz, Rot, Grün und Gelb vor. Er liebte diese Farben in seinen primitiven, naiven und sehr bunten Zeichnungen. Eine Künstlerin sagte ihm, seine Bilder seien für sie schon deshalb gut, weil ein professioneller Künstler sich nicht trauen würde, so zu malen.
Die Arbeitsnotizen
1987 wurden die Arbeitsnotizen zu Eugène Ionescos Malerei unter dem Titel "La main pein / Die Hand malt" im Verlag Erker veröffentlicht. Diese enthalten auf rund 40 Seiten Abbildungen ausgewählter Kunstwerke der Jahre 1983 bis 1986 sowie Erläuterungen dazu. Ionesco geht dabei auch ganz offen auf die tieferen Beweggründe für seine Malerei ein.
Die Arbeitsnotizen sind auf den ersten 20 Seiten in französicher Sprache verfasst. Die zweite Hälfte enthält die deutsche Übersetzung.
In den Notizen schreibt Eugène Ionesco auch, warum der diesen Ort aufsucht, um sich der Malerei zu widmen:
"Ich kann nicht mehr arbeiten in Paris, dieser großen, traurigen, grauen, lauten und brutalen Metropole, wo man ziellos herumhastet und wo ich mich nicht mehr konzentrieren kann, wo ich nicht mehr normal leben kann."
"In St. Gallen fühle ich mich abseits vieler Gefahren, und wenn ich mich auch nicht ganz von allen Ängsten befreit fühle, so ist die Angst auf jeden Fall gedämpft, sie schweigt, ich fühle mich heiterer...Ich komme hierher in Begleitung meiner Frau, die hier, zusammen mit mir, vielleicht auch ein wenig von jenem Seelenfrieden findet, der unentbehrlich ist, um zu atmen, zu leben, ein wenig zu meditieren, um einen Augenblick vor einem alten Haus stehenzubleiben und es zu betrachten. Wo sonst könnte man noch ein wenig geistige Frische und für mich auch noch ein wenig Inspiration finden?"
Ionesco über Malerei als Therapie
Im Interview mit Ulrich Wickert gegen Ende der 80er Jahre sagt Eugène Ionesco, wie schon in den o.g. Arbeitsnotizen, dass die Malerei für ihn eine Therapie sei. Auf die Frage Wickerts, wogegen er diese Therapie benötige, sagte Ionesco:
"Für meine Ängste. Gegen meine Beklemmungen. Ein Übermaß an Not, Angst. Meine Ängste überwältigen mich ganz und gar. Ich konnte gar nicht mehr leben, so schrecklich waren meine Ängste und Depressionen, die durchaus berechtigt sind, wenn man sich die Welt ansieht. Ein Psychotherapeut sagte mir: 'Die Neurotiker haben Recht.' Trotzdem gibt man ihnen Medikamente, um ihre Einsichten zu dämpfen, denn die Welt ist unerträglich. Ein sensibler Mensch kann nicht in dieser Welt leben. Oder er lebt mühevoll und schlecht. Das war bei mir der Fall. Also zuerst war es eine Therapie. Hinzu kam ein Ekel vor dem Geschwätz. 30, 35 Jahre lang hatte ich Theaterstücke geschrieben. Es redete und redete und redete. Zuletzt ekelten mich die Wörter an. Also brauchte ich das Schweigen. Und jetzt bin ich im Schweigen. Außer, wenn ich mit Ihnen spreche."